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Ein traumhafter Sonntag – von Annike Schlüter

  • Writer: Brigitte Leeser
    Brigitte Leeser
  • May 9, 2020
  • 7 min read

Ich bin eben erst aufgewacht und liege noch in meinem Bett. Es ist Sonntag, also habe ich keine Schule. Deshalb bleibe ich erst noch mal liegen und träume noch ein bisschen, weil ich eine richtige Langschläferin bin.  Jetzt bereite ich mich gedanklich erst einmal darauf vor, aufzustehen, bevor ich es dann wirklich mache. Erst die Beine aus dem Bett, dann aufsetzen und dann… doch was ist das? Am unteren Ende meines Bettes steht ein geschlossener Karton. Schnell stehe ich auf und stelle ihn auf mein Bett. Der Karton ist so leicht, dass ich mich frage, ob das einfach nur ein Scherz ist. Zuerst schüttele ich den Karton leicht, um zu hören, ob sich etwas darin bewegt und tatsächlich ist ein leichtes Rascheln zu hören.  Ich hole schnell eine Schere, öffne ihn und als ich reinschaue, sehe ich ganz viel Stoff, der sich beim Hochheben als Mantel entfaltet. Komisch… Warum sollte mir jemand einen Mantel schicken? Er ist so leicht! Aus welchem Material er wohl gemacht ist? Ich schaue nochmal in den Karton und entdecke einen Umschlag mit einem Brief. 

Liebe Jacky,

in dem Karton den du gerade geöffnet hast, liegt ein Mantel. Wenn du diesen Mantel anziehst, bist du unsichtbar. Nur freundliche Tiere und Menschen, die dich wirklich lieben können dich sehen. Aber das ist noch nicht alles! Du kannst mit dem Mantel auch an Orte reisen, an denen du gerne wärst. Das können auch sehr entfernte Orte oder sogar andere Zeiten sein. Der Mantel verleiht dir außerdem magische Fähigkeiten, die du erleben wirst. Genieße den Tag mit deinem neuen Mantel und koste ihn wirklich aus, denn diese Fähigkeiten halten nur einen Tag und eine Nacht an.

Wow! Wenn das wirklich wahr ist dann ist, dann könnte ich ja wirklich alles damit machen. Aber von wem sind der Brief und der Mantel denn eigentlich? Auf dem Brief steht kein Name und auch auf der Rückseite nicht. Hm… Aber vielleicht sollte ich den Mantel einfach mal anprobieren, um zu sehen, ob er wirklich solche magischen Kräfte hat wie im Brief steht. Ich ziehe ihn also an, aber es passiert nichts. Hat sich da doch jemand nur einen Scherz erlaubt? Nein, ich kann mich ja an einen Ort wünschen an den ich jetzt gerade möchte. Da mir nicht gleich etwas einfällt, fange ich mit einem nicht so schweren Ort an, mache die Augen zu und wünsche mir ganz fest, auf der anderen Seite meines Zimmers zu sein. Ich spüre ein kleines Kribbeln und als ich die Augen wieder aufmache, stehe ich tatsächlich neben meinem Schreibtisch auf der anderen Seite meines Zimmers. Oh mein Gott! Es funktioniert wirklich!! Jetzt kann ich wirklich den ganzen Tag an den schönsten Orten genießen. Als erstes muss ich aber meinen Eltern Bescheid geben, dass ich heute nicht zu Hause bin, nicht, dass sie sich Sorgen machen. Also beame ich mich per Gedanken nach unten, aber nur in den Flur, damit sie sich nicht erschrecken, wenn ich plötzlich wie aus dem Nichts neben ihnen stehe. Und auch das hat funktioniert. Ich stehe im Flur und gehe zu meinen Eltern ins Wohnzimmer. Sie müssten mich ja sehen, weil sie mich wirklich lieben, so wie in dem Brief steht. „Hallo Mama, hallo Papa“, grüße ich sie und sie schauen mich erstaunt an. Wahrscheinlich, weil sie mich nicht so früh wach erwartet hätten, aber sie grüßen mich beide auch zurück, das heißt sie sehen mich wirklich! „Ich mache heute etwas mit Lilly, also bin ich den ganzen Tag nicht da, in Ordnung?“, flunkere ich. „Aber natürlich Schatz. Macht euch einen schönen Tag!“, meint meine Mutter. 

Wohin will ich jetzt?  Vielleicht an einen Strand? Oder auf eine Blumenwiese? Ja, eine Blumenwiese ist eine gute Idee, wo niemand außer mir ist. Dort kann ich dann erst einmal sehen, was mit den magischen Fähigkeiten gemeint ist, die mir der Mantel verleiht. Also schließe ich die Augen und wünsche mich auf eine Blumenwiese. Ich fühle das Kribbeln und als es aufhört, stehe ich wirklich auf einer Blumenwiese. Wunderschön ist es hier! Ich fühle das weiche Gras unter meinen Füßen. Es fühlt sich an, als würde ich auf einer weichen Wolke stehen, die mich ein bisschen zwischen den Zehen kitzelt. Alles sieht aus wie aus einem Bilderbuch. Das Gras hat ein kräftiges Grün, es sind Blumen in allen Farben und Formen zu sehen und am Himmel aus einem perfekten Himmelblau ist keine einzige Wolke zu sehen. Die Blumenwiese geht so weit, dass ich gar nicht sehe, wo sie endet. Der Duft der Blüten steigt mir in die Nase und es ist der feinste Duft, den ich je gerochen habe und noch tausend Mal süßer. Auf einmal sehe ich ein kleines Rehkitz auf mich zu kommen. Es ist hellbraun und erinnert mich mit seinen weißen Punkten und den süßen Augen irgendwie an das Reh Bambi aus dem Disney-Film. Kurz vor mir bleibt es stehen und schaut mich freundlich an. Es kann mich sehen! „Hallo du Kleines, wo kommst du denn her?“, sage ich mit einer höheren Stimme, so wie ich mit allen süßen Tieren spreche. „Du musst deine Stimme nicht so verstellen. Ich komme aus dem Wald, der hinter dem Hügel dahinten ist“, antwortet mir das Rehkitz plötzlich. Habe ich mir das gerade eingebildet? Tiere können doch gar nicht sprechen! Aber es spricht schon wieder: „Und wo kommst du her? Ich habe dich hier noch nie gesehen.“ „Du kannst sprechen? Habe ich Halluzinationen?“, frage ich eher mich selbst als das Rehkitz, denn ich glaube ja nicht, dass es antworten wird. Doch das tut es: „Nein du hast keine Halluzinationen und ja, ich kann sprechen.“  Ist diese Stimme echt oder ist das nur in meinem Kopf? Warum kann ich auf einmal Tiere hören? Jetzt weiß ich es! Der Mantel! In dem Brief stand doch etwas von magischen Fähigkeiten, die der Mantel mir verleiht. Das ist ja cool! Dann kann ich jetzt mit Tieren reden und mich mit ihnen anfreunden, so wie mit Menschen. „Wie heißt du denn?“, frage ich das Rehkitz deshalb. „Mein Name ist Stella und wie heißt du?“, antwortet sie. „Ich bin Jacky. Es ist so aufregend mit Tieren sprechen zu können. Ist es eigentlich schwer oder gefährlich als Tier zu leben?“ „Naja, ich habe keinen Vergleich dazu wie es ist als Mensch zu leben, deswegen weiß ich nicht ob es für Menschen schwer wäre wie ein Tier zu leben. Ein bisschen gefährlich ist es schon, weil wir Rehe ja Beute für andere Tiere sind. Soll ich dir mal den Wald zeigen wo ich lebe? Den kann man von dem Hügel da vorne sehen.“ Also gehen wir auf den Hügel und Stella zeigt mir ihren Wald. Die dunkelgrünen dicht zusammenstehenden Tannen sehen auch aus wie aus einem Bilderbuch. Stella und ich erzählen sind jetzt schon richtig gute Freundinnen. Dann fällt mir aber ein, dass ich ja nur diesen einen Tag und eine Nacht den Mantel und die mir verliehenen Zauberkräfte habe und ich will unbedingt noch woanders hin. Deshalb sage ich zu Stella: „Du Stella, ich muss jetzt los. Ich habe mit dem Mantel ja nur einen Tag und eine Nacht.“ „Ach so ja natürlich. Ich werde dich vermissen!“, sagt Stella zum Abschied. „Ich dich auch. Aber vielleicht kannst du ja mitkommen?“, frage ich hoffnungsvoll. „Nein, das geht leider nicht. Ich muss wieder zu meiner Familie in den Wald. Nicht, dass sie sich Sorgen machen. Aber ich werde dich nie vergessen!“ „Das verstehe ich natürlich. Ich werde dich auch nie vergessen! Ich habe auch schon ein bisschen Hunger, es ist ja schon Abend. Vielleicht reise ich nach Texas, da wollte ich schon immer mal hin. Die haben ja auch so tolle Cheesecakes. Und vielleicht kann ich da sogar reiten.“ „Ja mach das, das klingt gut“, sagt Stella. Wir verabschieden uns noch und dann wünsche ich mich nach Texas. Als ich die Augen öffne, stehe ich mitten vor einer amerikanischen Cheesecake-Factory. Das hat ja gut geklappt! Zum Glück habe ich auch Geld mit, dafür kann ich mir einen Cheesecake kaufen. Bevor ich reingehe, um mir einen zu holen, ziehe ich noch kurz meinen Mantel aus, weil der Verkäufer mich sonst ja nicht sehen würde. Wow! Der Cheesecake riecht sogar noch besser als ich ihn mir vorgestellt habe! Als ich wieder aus dem Laden rausgehe, finde ich eine Bank auf die ich mich setzen kann. Ich bin wahrscheinlich gerade im Zentrum einer texanischen Stadt. Wenn ich mich umblicke, sehe ich viele Hochhäuser, aus deren Fenstern noch Licht kommt. Inzwischen ist es schon dunkel, deswegen ist es noch beeindruckender und schöner. Hier werde ich wahrscheinlich keine Ranch finden, wo ich auf Ponys reiten kann, aber das möchte ich auch gar nicht mehr, denn mir kommt eine noch viel bessere Idee.

Ich beame mich zu dem Hollywood-Zeichen und esse dort meinen Cheesecake. Da wollte ich auch schon immer mal hin. Deswegen schließe ich fest die Augen und wünsche mich dorthin. Als ich die Augen wieder aufmache, sitze ich unter dem H von Hollywood. Von hier aus habe ich eine tolle Sicht auf die Stadt, die im Dunkeln sogar noch schöner aussieht als Texas. Da das Hollywood-Zeichen auf einem Berg steht, höre ich das Zirpen der Grillen und wie das Gras im Wind raschelt. Es sind auch noch andere Leute auf die Idee gekommen, von hier im Dunkeln die Stadt anzuschauen, deswegen ziehe ich lieber wieder den Mantel an. Dann schneide ich einen Bissen von dem Oreo-Cheesecake ab den ich mir gekauft habe. Der schmeckt so cremig und gut, dass ich ihn sofort verschlinge. 

Der ganze Tag war so aufregend, dass ich jetzt richtig müde bin. Während ich noch darüber nachdenke, was ich heute Tolles erlebt habe, fallen mir die Augen zu und ich schlafe ein. Als ich wieder aufwache, liege ich zu Hause in meinem Bett. Warum bin ich denn nicht mehr in Hollywood? Schnell schaue ich auf mein Handy um zu sehen welcher Tag heute ist. Es ist Sonntag, 12 Uhr. Warum ist heute nicht Montag? Habe ich das alles etwa nur geträumt? Das kann doch gar nicht sein, ich erinnere mich doch noch wie die Blumenwiese geduftet hat, auf der ich mit Stella war und wie der Cheesecake geschmeckt hat. Vielleicht ist der Karton noch da. Schnell stehe ich auf und schaue nach, aber er ist nicht da und auch der Mantel und der Brief sind nirgendwo zu sehen. Ich habe alles wohl wirklich nur geträumt…



 
 
 

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