Die phantastische Reise… – von Kaja Schwede
- Brigitte Leeser
- May 9, 2020
- 7 min read
Updated: May 10, 2020
Ich öffnete meine Augen immer noch sehr müde, nur ein wenig, doch das bisschen Licht, welches durch den Spalt zwischen den Vorhängen durchschien, war genug, um mich endgültig zu wecken. Mürrisch drehte ich mich zur anderen Seite. Wenn ich nur noch etwas länger schlafen könnte! Ich kniff meine Augen noch ein letztes Mal zusammen, doch ich wusste, es war zwecklos. Resigniert streifte mein Blick durch mein kleines Zimmer, über die Schränke, in denen sich zahlreiche Bücher stapelten, dessen Zeilen ich inzwischen schon beinahe rezitieren konnte, dann über meinen kleinen Schreibtisch, den schmalen Spiegel, über die Kommode, die kleine Stehlampe daneben und den weichen Teppich, der noch nie zum ganzen Rest gepasst hatte. Doch heute war da noch was anderes, das nicht ins Ambiente passte, es war ein kleines Paket. Verwundert griff ich danach und richtete mich auf, es war so leicht, als wäre gar nichts drin. Nach kurzem Zögern öffnete ich es und fand einen Mantel aus sehr leichtem Material, er sah nicht wirklich besonders aus und war meinem eigenen Kleidungsstil kein bisschen ähnlich. Ich würde ihn eher als antik beschreiben, doch als ich mit meiner Hand über den Stoff fuhr, hatte ich ein unerklärliches Gefühl, dieser Mantel hatte etwas an sich und ich wusste nicht, was es war. Ich legte ihn für einen Moment zur Seite, denn im Paket lag noch etwas, das meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Es war ein Brief, er entsprach jedem Klischee, welches man sich unter geheimnisvollen alten Briefen vorstellen konnte. Die Ränder des Briefes waren vergilbt und ein Siegel zierte die Vorderseite, vorsichtig öffnete ich ihn und las den Inhalt. Mit jedem Wort und mit jedem Satz wurde ich neugieriger und auch wenn alles so unmöglich klang, wie es vermutlich auch war, fragte ich mich, ob nicht doch ein Schimmer von Wahrheit darin steckte. Der Brief besagte, dass mich dieser Mantel für andere Menschen unsichtbar machte, dass mich nur sehr wenige freundliche Tiere sehen konnten und einige sehr, sehr wenige Menschen, die mich wirklich liebten. Und noch etwas hatte dieser Zaubermantel an sich – er würde mich wie im Gedankenflug dahin bringen, wohin ich auch wollte, sogar an sehr entfernte Orte und in andere Zeiten und mir magische Fähigkeiten verleihen, doch die Wirkung all dessen verflöge nach genau einem Tag und einer Nacht! Kurzerhand legte ich den Brief zur Seite und streifte mir den Mantel über, er war immer noch so leicht und schmiegte sich an meinen Körper, er umhüllte meine Haut und gab mir wieder dieses unbeschreibliche Gefühl, nur noch viel stärker. Ich sah in den Spiegel. Dort wo ich eben noch gesessen hatte war jetzt nichts mehr! Ich konnte es nicht fassen. Nach wenigen Sekunden schloss ich meine Augen, atmete tief durch und hoffte, dass ich, sobald ich sie wieder öffnete, an einem anderen Ort stehen würde.
Dann geschah es – ein kurzer Lichtblitz vor meinem inneren Auge und ich spürte Sand unter meinen Füßen, Wind in meinem Haar und Meeresgeruch in meiner Nase. Der Anblick des weiten Ozeans war atemberaubend! Genau wie das, was hier gerade wirklich passierte! Die Sonne am klaren Himmel blendete mich. Doch so schön dieser Ort auch war, es reizte mich, noch so viel anderes zu entdecken und auszuprobieren. Ich musste zugeben, dass mich die magischen Fähigkeiten besonders angesprochen hatten und ich wollte herausfinden, um WELCHE magischen Fähigkeiten es sich nun handelte. Hing das nur von meinem Willen und Vorstellungsvermögen ab oder gab es Grenzen? Wenn ja, welche? Ich mochte den Gedanken, mit Tieren sprechen oder fliegen zu können. Doch wann würde ich wohl ein freundliches Tier treffen, woher wusste ich, dass es mich überhaupt sehen konnte… Ich ging langsam auf die Wellen zu, während ich noch überlegte, was es mit all dem auf sich hatte, berührte meine Hand die kühle Wasseroberfläche. Die einzelnen Tropfen, die mir dabei aus den Fingern glitten, formten unwillkürlich eine glänzende Kugel. Unwillkürlich ließ ich sie immer weiter steigen, es kostete mich keine Kraft und es machte mir Spaß, zuzusehen wie ich sie immer höher beförderte und als sie dann nicht mehr in Sichtweite war, ließ ich sie einfach platzen und genoss den Regen auf meinen Schultern. Ein weiterer Lichtblitz erschien vor meinem inneren Auge. Jetzt prasselte echter Regen auf meine Haut und ich musste lachen. Hier zu landen war nicht meine Absicht gewesen, aber es machte mich trotzdem glücklich. Ich stand jetzt barfuß im Pyjama mit dem Mantel vor dem Haus meiner besten Freundin Dahlia, sie war vor einigen Jahren mit ihren Eltern nach England zu ihrer britischen Familie gezogen. Wir trafen uns daher nur selten, aber wenn wir uns trafen, dann war das die beste Zeit des Jahres. Da ging schon die Tür auf und sie stürmte auch mit einem strahlenden Gesicht hinaus „Odette!“, rief sie sichtlich überrascht über meinen Auftritt. Sie konnte mich trotz des Mantels sehen. Mir wurde warm ums Herz. „Ich habe dir so viel zu erzählen!“ Auch sie war beeindruckt von den Kräften des Mantels, doch es stellte sich heraus, dass er leider nur an mir funktionierte. Wir überlegten uns, welche Orte ich noch besuchen konnte, bevor die Zeit abgelaufen war. Es war schon Nachmittag! Erneut erschien ein Lichtblitz vor meinem inneren Auge. Aber daran hatte ich mich fast schon gewöhnt.
Nervös atmete ich ein und aus, denn das hier war anders, als an Orte zu reisen. Dieses Mal war ich in eine andere Zeit gereist. In die Zukunft um genau zu sein. Ich verspürte Angst vor dem, was ich jetzt sehen würde. Womöglich war das ein Fehler. Vielleicht war ich zu neugierig gewesen. Von der Vergangenheit wurde uns erzählt, wir wurden darüber belehrt. Aber niemand konnte uns sagen, was die weit entfernte Zukunft brachte. Es roch mehr nach ungesunden Gasen als ich mir je hätte vorstellen können. Ich keuchte und fiel zu Boden. Ich sollte besser so schnell wie möglich von hier verschwinden. Aber ein Gedanke hielt mich davon ab, was wäre wenn… ich musste es ausprobieren.
Vor mir lagen weite Flächen trockenes, steiniges Land. Ein paar magere Tiere liefen noch herum, doch ich hatte keine Ahnung was das für Tiere waren. Ich breitete meine Hand auf diesem Boden aus und spürte jeden klitzekleinen Kieselstein, krampfhaft ballte ich eine Faust und dann geschah es – als ich meine Hand wieder öffnete, lag in ihr eine kleine grüne Pflanze dessen Wurzeln nach etwas suchten, nach einem festen Grund. Ich ließ sie auf den Boden kullern, kurz darauf wurde sie immer größer und größer und eine kleine Fläche verwandelte sich von trübem Grau zu hoffnungsvollem Grün und gleich wurde auch die Luft frischer. Das machte diesen Ort erträglicher, beinahe lebendig. Beinahe war das Wort, das mich erschauern ließ. Ich spürte, dass ich nichts machen konnte, was das diese karge Landschaft in dauerhafter Weise veränderte. Das machte mich traurig.
Doch langsam ich musste aus dieser Zeit und von diesem Ort verschwinden, denn meine Lungen würden das nicht länger aushalten. Kurz blickte ich mich noch um und als eines der mageren Tiere dankend in meine Richtung schaute, war ich seltsamerweise heilfroh, dort gewesen zu sein.
Im nächsten Moment schon kniete ich in einer Häusergasse mit gelben Wänden in einem sehr warmen Land. Ich vermutete, dass es Spanien oder Italien war, doch sicher konnte ich mir da nicht sein, weil ich wiedermal nur zufällig an etwas gedacht hatte. Die Frage war nur, an was? Ich stand auf und ging ein paar Schritte, dann zuckte ich zusammen. Eine kleine Frau scheuchte einen Hund aus ihrem Laden, durch dessen Haut man jeden Knochen herausstechen sah, und sie schimpfte energisch. Der Weg war so schmal, dass ich mich an die Wand pressen musste, damit sie mich nicht aus Versehen berührte und entdeckte. Ihre ausgestreckte Hand war nur wenige Zentimeter von meinem Gesicht entfernt und ich musste mich bemühen, nicht zu laut zu atmen. Im Notfall konnte ich zwar einfach von hier verschwinden, aber vorher wollte ich noch erfahren, weshalb ich hier gelandet war. Der Hund drehte sich noch einmal um, als er ein paar Meter Abstand zwischen sich und die wütende Frau gebracht hatte, und blickte in meine Richtung. Nicht durch mich hindurch, sondern direkt in meine Augen. Doch dann wendete er sich erneut von mir ab und lief davon. Ich wartete, bis die alte Frau sich weggedreht hatte und versuchte dem Hund zu folgen. Das war relativ leicht, da er nicht besonders schnell war und die Luft war hier auch deutlich angenehmer als in der verdorrten Landschaft. Irgendwann rannten wir Seite an Seite und ich musste ab und zu laut lachen, weil seine Zunge zur Seite heraushing und es schien, als ob er mit mir lachen würde. Ich hatte keine Ahnung wie viel Zeit schon vergangen war, wie lange wir schon liefen. Doch mir fiel auf, dass ich nicht müde wurde. Obwohl ich heute schon so viele Abenteuer erlebt hatte, die mir kaum jemand glauben würde.
Abrupt blieb der Hund stehen. „Was?“, fragte ich und lachte erneut. Er legte seinen Kopf schief und kam mit zurückgelegten Ohren auf mich zu. Ich kniete mich auf die warmen Pflastersteine und streckte meine Hand aus. Seine nasse Schnauze berührte meine Fingerspitzen, er kam näher, so nah, dass ich ihn streicheln konnte. Das Fell war grau, verfilzt und dreckig, aber das Vertrauen in seinen Augen machte ihn zum schönsten Tier, das ich je gesehen hatte. Dann passierte etwas Unerwartetes!
Ein Lichtblitz und wir beide waren bei mir zuhause. Wir saßen gemeinsam auf dem Teppich meines Zimmers, der Hund schien nicht so überrascht wie ich. Als ich aus dem Fenster sah, merkte ich, dass es allmählich dunkel wurde. Hatte die Wirkung des Mantels nachgelassen, wie konnte es sein, dass auch der Hund hier war…? Ich schaute hinüber zum Spiegel und da saß ich, ich alleine! Das war unmöglich! Ich konnte den Hund neben mir doch sehen und spüren und ich sollte mich mit dem Mantel doch nicht sehen können… Ich nahm nun den Brief vom heutigen Morgen vom Bett, darauf waren nur noch wenige Worte geschrieben, andere als ich in Erinnerung hatte.
„Du hast gefunden, wonach du unwissentlich gesucht hast, deinen Schutzengel. Du brauchst den Mantel nun nicht mehr.“
Ohhh eine wirklich tolle Geschichte, es hat viel Spass gemacht sie zu lesen, mir hat alles sehr gefallen aber besonders toll fand ich das du nicht so umgangssprachlich und sehr schön und genau beschrieben hast. Mir hat auch das schöne Ende sehr sehr gut gefallen!