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Das geheimnisvolle Päckchen – von Carla Muth

  • Writer: Brigitte Leeser
    Brigitte Leeser
  • May 9, 2020
  • 6 min read


Ich wachte auf. Nach einem kurzen Blick auf die Uhr sah ich, dass es neun Uhr war. Und während ich beschloss, mich noch einmal umzudrehen und weiterzuschlafen, fiel mein Blick auf ein kleines Paket vor meinem Bett. Ich wunderte mich und stand schlaftrunken auf, um das Paket zu öffnen. Als ich es anhob, merkte ich, dass es ganz leicht war, eigentlich viel zu leicht, als dass etwas drinnen sein könnte. Doch ich irrte mich. Als ich das Paket mit einer Schere vorsichtig öffnete, sah ich darin ein Stück Stoff liegen, darauf ein Brief mit der Aufschrift: Er ist für dich. Ich wunderte mich noch mehr als ich las:

Anbei ist ein Mantel, der dich unsichtbar macht. Und zwar nur dich und nicht für alle! Freundliche Tiere können dich sehen, und die Menschen, die dich wirklich lieben!

Dieser Mantel ermöglicht es dir wie im Gedankenflug zu reisen, wohin auch immer du willst, egal wie weit es weg ist und egal in welche Zeit.

Doch gib acht, diese Zauberkraft des Mantels hält nur für einen Tag und eine Nacht!

Nutze die Zauberkraft weise! Und sei bereit, auf Wahrheiten zu stoßen, die sehr erfreulich, aber auch sehr furchtbar sein können!

Ich war schlagartig wach! Vorsichtig, nahm ich ein Stück Stoff heraus. Es wurde immer größer, bis ich erkannte, dass es kein einfacher Stoff war, sondern ein Mantel aus einem sehr leichten Material. Ich hielt ihn vorsichtig zwischen meinen Fingern, und nachdem ich den Mantel einige Zeit lang angestarrt hatte, beschloss ich ihn anzuziehen. Als ich ihn anzog, fiel mir ein, dass ich noch meinen Schlafanzug trug, aber ich ließ ihn vorerst an. Ich konnte diesen altmodischen Duft, des Mantels riechen, ein Duft, der mich sehr an Lavendel erinnerte.

Ich trat vor den Spiegel, der neben meinem Kleiderschrank stand. Ich riss meine Augen auf, denn ich sah NICHTS! Ich konnte durch mich hindurch gucken, und sah den Rest meines Zimmers. Zuerst war ich total verwirrt, bis ich realisierte, dass das, was im Brief stand, tatsächlich stimmte. Eine Weile starrte ich weiter in den Spiegel, bis ich mich losriss und überlegte, was ich jetzt tun sollte. Einerseits war es total cool, aber auch sehr beängstigend, denn bis jetzt war mein Alltag nämlich eher langweilig, weshalb das hier mich sehr verwirrte. Ich lief zu meinen Eltern, um es ihnen zu erzählen. Doch als ich im Schlafzimmer vor ihnen stand, fiel mir ein, dass ich den Mantel noch trug. Bevor ich mich umdrehen konnte, um in mein Zimmer zu laufen, hatten sie mich bemerkt und schauten in meine Richtung. Ich wagte nicht, mich zu bewegen. Da fragte meine Mutter mich: „Warum stehst du da wie festgewachsen?“ Da fiel es mir wieder ein: Menschen, die mich wirklich lieben, können mich sehen. Und unter den Menschen, die mich wirklich lieben, sind auch meine Eltern. Ich antwortete schnell: „Ich bin mit meiner Freundin auf dem Reiterhof verabredet und übernachte im Anschluss bei ihr, deshalb muss ich jetzt schnell los.“ Meine Eltern tauschten einen kurzen Blick aus, und nickten dann zustimmend. Aber meine Mutter setzte noch hinzu: „Aber bitte nächstes Mal früher mit uns absprechen!“ Ich nickte, und lief in mein Zimmer, um meine Tasche zu packen. Im Zimmer rief ich meine Freundin an, um sie zu fragen, ob es bei ihr passe.

Doch zum Glück hatte sie nichts vor und wir verabredeten, uns eine halben Stunde später an der großen Kreuzung zu treffen. Als ich ankam, war meine Freundin schon dort. Den Mantel hatte ich in meine Tasche gelegt. Während wir zum Hof gingen, erzählte ich ihr alles, sie hörte mir schweigend zu. Dort angekommen, holte ich den Brief aus meiner Jackentasche und sie las ihn. Ohne vom Brief aufzuschauen, sagte sie zu mir: „Das klingt echt gruselig.“ Ich nickte und wir gingen zusammen zum Stall. Es war alles wie immer, naja fast. Ich konnte die ganze Zeit nur an den Mantel denken und die Nähe der Pferde nicht genießen. Während wir die Pferde sattelten, überlegten wir uns einen Streich, den wir mit dem Mantel anstellen könnten und der so funktionieren sollte:

- Wir satteln die Pferde

- Reiten aus

- Ich mache mich unsichtbar

- Meine Freundin nimmt mein Pferd bei den Zügeln und reitet zurück zum Hof

- Dann sucht meine Freundin eine Person, und erzählt, dass ich verschwunden wäre

- Ich muss ganz leise sein und mich hinter die Person stellen

- Dann sagt sie, dass sie mich hinter der Person sehen würde

- Wenn die Person sich umdreht mache ich mich ganz plötzlich sichtbar

- Die Person wird verwirrt sein

Es klappte sehr gut, obwohl wir damit nicht gerechnet hatten und Zehn Minuten später mussten wir immer noch lachen sobald wir uns daran erinnerten, wie die Dame geguckt hatte.

Zusammen zogen wir uns in das Reiterstübchen zurück. Wir überlegten, was wir mit dem Mantel noch anstellen könnten. Da sagte ich: „Das mit dem unsichtbar sein haben wir ja ausprobiert und es hat geklappt, aber wie wäre es durch die Zeit zu reisen?“ „Stimmt! Das haben wir ja ganz vergessen! Probiere es doch mal aus!“, antwortete meine Freundin. Ich zog den Mantel an, aber hielt in der Bewegung inne und fragte sie: „Wohin soll ich denn reisen?“ Wir überlegten eine Weile, doch uns fiel nichts ein. Dann räusperte ich mich und fragte: „Klingt jetzt vielleicht komisch, aber was hältst du davon, wenn ich einfach in die letzte Woche zurückreise?“ Meine Freundin nickte zustimmend. Also zog ich den Mantel ganz an, schloss die Augen und dachte fest an die letzte Woche. Als ich die Augen öffnete, stand ich immer noch im Reiterstübchen, aber ohne meine Freundin, als ich einen Blick aus dem Fenster warf, sah ich, wie ich selbst mit meiner Freundin auf das Reiterstübchen zu ging. Schnell dachte ich wieder daran, wo ich vorhin war, damit ich wieder verschwand. Als ich zurückkam, stand meine Freundin an der Stelle, wo sie auch vorher gestanden hatte und starrte entgeistert in meine Richtung. Ich sah sie fragend an, woraufhin sie mir erklärte, dass ich auf einmal weggewesen sei, wie vom Erdboden verschluckt. Ich erzählte ihr, was ich alles erlebt hatte.

Als ich auf die Uhr sah, sagte ich erstaunt: „Es ist ja schon halb fünf!“ Wir mussten nach Hause und wir waren auch der Meinung, dass es mit dem Unsichtbar sein fürs erste ja auch toll war. Also fuhren wir zu ihr nach Hause. Und dort fiel mir noch etwas ein und ich schlug ihr vor: „Ich glaube, ich möchte in die Zeit zurückreisen, in der meine Großeltern noch gelebt haben!“ Sie hielt das für eine sehr gute Idee. Also gingen wir in ihr Zimmer. Ich holte den Mantel wieder aus der Tasche und zog ihn an, schloss die Augen und erinnerte mich dann an die schönen Tage, die ich mit meinen Großeltern verbracht hatte. Wenige Sekunden später öffnete ich die Augen und stand im Wohnzimmer unseres Hauses. Ich sah mich acht Jahre jünger mit meinen Großeltern. Als sie mich bemerkten, sahen sie nicht sonderlich erstaunt aus. Ich blickte sie verwirrt an, denn warum wunderten sie sich nicht, dass ich plötzlich da war? Da sagte meine Oma zu mir: „Wir haben so lange auf dich gewartet…“, und mein jüngeres Ich fragte: „Mit wem redest du da Oma?“ Darauf antwortete meine Oma: „Ach Kleines, das ist doch nur ein Spiel, ich rede mit der Luft.“ Ich guckte mein junges Ich an und winkte mir zu, doch mein junges Ich sah mich nicht an. Ich guckte fragend meine Oma an, die mit ruhiger, aber bestimmter Stimme meinte: „Ach Schätzchen, da sieht man mal, dass du dich selbst nicht gernhast, daran musst du noch arbeiten.“ Da hatte sie recht. Ich fragte sie daher: „Was ist hier los?“ Meine Oma zuckte nur mit den Achseln und meinte zu mir: „Gehe zu jedem deiner Großeltern und schüttele ihnen wortlos die Hand, und kehre dann in die wahre Zeit zurück.“

Als ich wieder im Zimmer meiner Freundin stand, war ich noch ein wenig verwirrt, aber auch glücklich, alle wieder gesehen zu haben! Sie sah mich an und fragte, was geschehen sei und ich erzählte es ihr. Wir rätselten noch eine Weile und wunderten uns wie das alles möglich war. Als meine Freundin mir sagte, dass es bereits 23 Uhr war, fiel mir auf, wie müde ich war. Daher legte ich mich erschöpft ins Bett. Kurz nach sieben war ich wach und weckte auch meine Freundin. Wir gingen in die Küche, um etwas zu essen. Als ich um kurz nach neun Uhr meine Klamotten aus der Tasche holen wollte, war der Mantel verschwunden. Da fiel mir wieder ein, dass der Mantel nur für einen Tag und eine Nacht versprochen war, diese Zeit war nun um. Dann rief meine Mutter an und ich packte meine Sachen und ging.

Als ich zuhause ankam, stand dort meine Mutter und meine GROßELTERN! Ich war so perplex, das kann man gar nicht beschreiben! Meine Mutter verkündete freudig: „Es ist so wunderbar, sie waren nur auf einer sehr, sehr langen Kreuzfahrt ohne uns Bescheid zu sagen! Und wir dachten sie wären tot!“ Sie war den Tränen nahe, doch ich starrte sie nur an und war viel zu verwirrt, um ihr zu antworten.

Meine Mutter wandte sich von mir ab und holte einen Kuchen aus dem Backofen. Diese Zeit nutzte meine Oma und nahm mich beiseite um mir zuzuflüstern: „Hab Dank mein Kleines, du hast uns erlöst, wir waren schon fast im Reich der Toten angekommen, da hast du uns erlöst!“ Ich starrte sie nur wortlos an.

Ein wenig später saß ich mit meinen Großeltern zusammen und sie erzählten mir alles. Es war nämlich so: Sie waren auf dem Weg zum Totenreich, doch dann fiel ihnen das mit dem Mantel ein und es klappte. Sie wurden durch mein wortloses Händeschütteln erlöst, und waren nun wieder lebendig geworden. Sie wussten nicht genau, für wie lange, aber es war ihnen egal. Sie wollten sich noch einmal von den Menschen verabschieden, die ihnen viel bedeuteten, und darunter bin Ich!



 
 
 

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